Produktivgenossenschaften in Deutschland - zur Vielfalt einer umstrittenen Unternehmensform

I. Stagnation klassischer Produktivgenossenschaften

Die Gesamtzahl produktivgenossenschaftlich strukturierter Betriebe kann in Deutschland auf rund 7.000 geschätzt werden. Unter ihnen gibt es etwa 1.800 eingetragene Produktivgenossenschaften. Von den letzteren sind die meisten den klassischen Produktivgenossenschaften zuzuordnen. Dazu werden vor allem Unternehmen gerechnet, die auch die genossenschaftlichen Revisionsverbänden als Produktivgenossenschaften bezeichnen. Das bedeutet, sie werden überwiegend in der Rechtsform der eingetragenen Genossenschaft geführt. Auch verstehen sich ihre Träger bzw. Mitglieder selbst als Genossenschaftler. Ihre Tätigkeitsfelder liegen vor allem in landwirtschaftlichen, handwerklichen, manufakturellen bzw. semiindustriellen Branchen bzw. Sektoren. Zu unterscheiden sind die traditionelle westdeutsche Produktivgenossenschaft sowie die handwerkliche ostdeutsche und die landwirtschaftliche ostdeutsche Produktivgenossenschaft.

a) Exotik traditioneller Produktivgenossenschaften in Westdeutschland

Schon seit Jahrzehnten wird der als erste zu nennende Untertyp der klassischen Produktivgenossenschaft in Deutschland nur noch als Exot angesehen: die traditionelle westdeutsche Produktivgenossenschaft. Sie existiert nur in geringer Anzahl. Die Angaben in der Literatur und von den Genossenschaftsverbänden schwanken zwischen etwas über 10 bis ungefähr 30 Unternehmen. In der aktuellen Statistik der deutschen Genossenschaftsverbände sind sie unter die 436 erfaßten gewerblichen Produktivgenossenschaften subsumiert. Einige sehr traditionsreiche Unternehmen, wie die vor drei Jahren in Konkurs gegangenen Glaswerke Warmensteinach, zählen zu diesem Typ. Gegründet 1899 wäre sie in diesem Jahr 100 Jahre alt geworden.

Auch die Tübinger Chronik, ein Druckunternehmen mit modernster Technologie arbeitend, zählt hierzu. Sie entstand direkt nach dem zweiten Weltkrieg und konnte sich bis heute erfolgreich am Markt behaupten. Die Kennzeichnung als traditionelle Produktivgenossenschaft verdeutlicht, daß diese Unternehmen schon längere Zeit bestehen. Sie agieren überwiegend in tradierten, um nicht zu sagen konservativen Branchen wie dem Bau- oder Textilsektor. Die Marktanforderungen hinsichtlich Innovation und Entwicklung sind im Vergleich zu anderen Branchen eher gering. In ihrer realwirtschaftlichen Ausprägung kommt es meist zu starken Abweichungen von den produktivgenossenschaftlichen Merkmalen. Nur die Hälfte der Beschäftigten oder auch weniger sind Genossenschaftsmitglieder.

b) Ehemaligen PGHen auf dem Rückzug

Der zweite Untertyp der klassischen Produktivgenossenschaft hat seinen Ursprung in Ostdeutschland, der ehemaligen DDR: Es sind die handwerklichen ostdeutschen Produktivgenossenschaften, ursprünglich als PGH bezeichnet. Umgewandelt in die Rechtsform der Genossenschaft können noch knapp 450 Unternehmungen dazugezählt werden. Mit den produktivgenossenschaftlichen Unternehmen, die nach dem Zusammenschluß der beiden deutschen Staaten eine andere Rechtsform wählten, sind es noch einmal 200 bis 300 Unternehmen mehr. Historisch geprägt durch die Entwicklung des Staatssozialismus in Ostdeutschland weisen sie dennoch keine besonders grundlegenden Unterschiede zu den traditionellen westdeutschen Produktivgenossenschaften auf.

Sie sind überwiegend handwerklich in Bereichen der Instandsetzung, Reparatur und Montage bzw. semiindustriell tätig und agieren ebenfalls hauptsächlich in Branchen, die sich weniger dynamisch entwickeln. Friseurbetriebe, Malerfirmen und nicht zuletzt Bauunternehmen stellen einen Schwerpunkt da, während der technologisch orientierte Dienstleistungsbereich als Ausnahme anzusehen ist. Als Beispiel kann die Friseurproduktivgenossenschaft in Usedom, größter Arbeitgeber auf der Insel, verwiesen werden. Nach eine Konsoldierungsphase sind dort heute wieder 60 Frauen überwiegend auch Mitglieder der Genossenschaft in 17 Friseurläden beschäftigt. Bezahlt wird der Tariflohn plus eine Prämie bei hohem Umsatz: "Aufgrund des Gefühls es fließt nichts an einen Fremden raus, besteht eine Leistungsbereitschaft, die in der GmbH nicht erreicht werden könnte," so die Einschätzung der Situation des heutigen Geschäftsführers,

Einige Strukturen, die auch das Verhalten prägen, sind für diese Branchen typisch. Hierzu gehört die Ausrichtung auf einen Meister. Dadurch ergibt sich fast "natürlich" eine bestimmte Form der Autorität, die sich durch die jeweilige Berufskultur bzw. berufsspezifische Ausprägungen in diesen Unternehmen mehr oder weniger zwangsläufig herstellt. Während solche Autoritätsformen in neuen produktivgenossenschaftlichen Unternehmen wie den Selbstverwaltungsbetrieben eher abgelehnt werden, ist sie bei den ostdeutschen Handwerksgenossenschaften ausgeprägt und gleichzeitig auch anerkannt. Die Zukunftschancen dieser Produktivgenossenschaftsform dürften entscheidend davon abhängen, inwieweit sie ihre bisherigen Marktpositionen durch die Strategien Differenzierung oder Konzentration sichern.

c) Konservative landwirtschaftliche Genossenschaftskulturen

Als dritter Untertyp der klassischen Produktivgenossenschaft kann die ostdeutsche landwirtschaftliche Produktivgenossenschaft, die LPG der früheren DDR, genannt werden. Im Jahr 1993 gibt es 1.430 dieser Unternehmen als eingetragene Genossenschaft. Sie sind durch die ostdeutsche Geschichte, durch vielfältige Diskriminierungen sowie durch die Besonderheiten der Landwirtschaft geprägt und weisen von daher eine sehr eigenständige unternehmenskulturelle Ausprägung mit eher konservativer Ausrichtung auf. Auch wenn sich ihre Zahl verringert hat, ist die Situation der meisten übrigen nach wie vor prekär. Dies wird von vielen Genossenschaftsbetrieben nicht zuletzt auf die verfolgte agrarpolitische Linie zurückgeführt. Zu dieser gehört die Bevorzugung kleiner familiär geführter Landwirtschaftsbetriebe, obwohl gerade durch die bestehenden Großstrukturen die ostdeutschen Agrargenossenschaften den westdeutschen Unternehmen im Wettbewerb langfristig überlegen sind.

Charakteristisch dürfte die Entwicklung der Agrargenossenschaft im sächsischen Arnsfeld sein. Von den ehemals 120 Beschäftigten blieben noch 40 übrig. Die meisten der früheren Mitglieder sind nach der Wende über Vorruhestandsregelungen aus der Landwirtschaft ausgeschieden. Heute arbeitet niemand mehr im Unternehmen, der älter als 55 Jahre ist. Der Tierbestand wurde nicht verringert, so daß der Betrieb, ausschließlich mit Milchwirtschaft und Rinderaufzucht befaßt, nach wie vor über einen Bestand von 1.500 Rinder verfügt. Die Genossenschaft bewirtschaftet mehr als 1.067 Hektar Fläche. Feldprodukte werden aber so gut wie nicht verkauft, sondern fast das gesamte Getreide an die Tiere verfüttert. Die wirtschaftliche Entwicklung des Betriebes sehen die Mitglieder, wie fast überall in Ostdeutschland, nach wie vor skeptisch.

II. Experimentierfeld konsequente Beteiligungsunternehmen

Beim zweiten Haupttyp, den konsequenten Beteiligungsunternehmen, lassen sich vier Untertypen unterscheiden. Die Mitarbeiterunternehmen, die Arbeitnehmergesellschaften, die Belegschafts-Buy-Outs und die Unternehmermodelle. Ihre quantitative Einschätzung erweist sich unter den verschiedenen Formen der Produktivgenossenschaften als besonders schwierig, da es keine systematischen Erfassungsversuche gibt. Abgesehen von der Arbeitsgemeinschaft zur Förderung der Partnerschaft in der Wirtschaft, der AGP, mit Sitz in Kassel existiert für diese Art der Unternehmensorganisation keine kontinuierliche Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit. Auch die AGP konzentriert sich bei ihrer Arbeit generell auf Beteiligungsunternehmen, so daß konsequente produktivgenossenschaftliche Formen nur nebenbei Berücksichtigung finden.

a) Mitarbeiterunternehmen: Unternehmerteams mit Zukunft

Der erste Untertyp sind die Mitarbeiterunternehmen, die meistens von Beginn an durch gleichberechtigte Teams gegründet werden. Unternehmensberater, Softwareentwickler, Landschaftsplaner oder auch Architekten stellen typische Berufsgruppen dar, die solche produktivgenossenschaftlich strukturierten Unternehmen aufbauen, meist nicht in der Rechtsform der e.G. Die Gründergruppe besteht oft nur aus vier oder fünf Personen. Insofern kann anfangs oft von einer Art Sozietät gesprochen werden. Aufgrund positiver Erfahrungen mit solchen Teamstrukturen wird meist schnell versucht, diese weiter auszubauen und neue Mitarbeiter als gleichberechtigte Gesellschafter aufzunehmen. Selbst bezeichnen sich solche Firmen eher als Partnerschaftsunternehmen und nicht als Produktivgenossenschaften. Charakteristisch für Mitarbeiterunternehmen ist die geringe Arbeitsteilung und die hohe Qualifikation der Mitarbeiter.

Als Beispiel kann auf eines der größten demokratisch organisierten Unternehmen in der Bundesrepublik Deutschland verwiesen werden: die PSI AG, ein Softwarehaus mit Hauptsitz in Berlin. Sie gilt als ein Pionierunternehmen in Sachen Mitarbeiterbeteiligung. Etwas mehr als 60% der Beschäftigten sind Eigentümer des Unternehmens. Nur sie konnten bis 1998 überhaupt Aktien der PSI erwerben. Durch den Gang an die Börse ist die ausschließliche Beschränkung des Eigentums auf Mitarbeiter mittlerweile relativiert. Bisher wurde allerdings die Aufnahme externer Kapitalgeber auf etwa ein Drittel des Kapitals begrenzt. Die etwa 390 Mitarbeiter, die gleichzeitig auch über Aktien des Unternehmens verfügen, sind in ihren Kommunikationsfähigkeit, immer wieder stark gefordert. Erst ständiger Austausch über die Arbeit, die Unternehmenspolitik oder die Entwicklung neuer Geschäftsfelder läßt ein Unternehmen mit so wenig Hierarchie funktionieren.

Angefangen hat alles 1969, als sechs Mitarbeiter aus dem AEG-Elektrokonzern sich gemeinsam selbständig machten. Sie wollten der abhängigen Arbeit in einem Großkonzern selbstbestimmte Strukturen entgegensetzen. Damals entwickelten sie ein Unternehmensmodell, das in seinen Grundzügen bis heute gilt. Sogar bei der Umwandlung in eine Aktiengesellschaft Anfang 1994 blieben der genossenschaftliche Charakter erhalten. Er wird über ein aufwendiges Vertragswerk gestützt. Damit einzelne nicht durch ihre Kapitalmehrheit die anderen bestimmen können, blieb die Anteilshöhe eines Mitarbeiters auf 1,1% des Kapitals begrenzt. Bei 10,6 Millionen Stammkapital kommen bei einigen dennoch stolze Beträge von 120.000 DM Nennkapital zusammen. Tatsächlich ist jede Aktie im Nennwert von 2.500 DM sogar das Doppelte wert.

b) Arbeitnehmergesellschaften: Versuche wirtschaftlichen Überlebens

Bekannter als Mitarbeiterunternehmen wie die PSI AG ist der zweite Typ der konsequenten Beteiligungsmodelle: Arbeitnehmergesellschaften oder "Konkursbetriebe". Dies sind Unternehmen, die von der ursprünglichen Firmenleitung aufgegeben werden. Die Betriebsorganisation übernehmen die Beschäftigten bzw. ihre Vertreter. Als eine Art betriebliches Überlebensmodell ergeben sich aus den damit zusammenhängenden Bedingungen völlig eigenständige unternehmenskulturelle Ausprägungen. Beispielsweise sind ein Teil der genossenschaftlichen Merkmale wenig ausgeprägt, weil der gemeinsame Erhalt der Arbeitsplätze im Vordergrund steht und nicht irgendwelche Formen gemeinsamer, demokratischer Entscheidung. Bis auf den Arbeitsplatzerhalt findet entsprechend auch die Verwirklichung des Förderungsprinzip wenig Raum.

In einer ausführlichen Monographie von Rainer Duhm wird die Zahl auf etwa 20 bis 30 Betriebe in der Bundesrepublik beziffert, die als Arbeitnehmergesellschaften überlebt haben. Vermutlich sind es weniger, weil viele von ihnen nach einer bestimmten Übergangsphase wieder traditionelle Eigentums- und Entscheidungsstrukturen übernehmen. Dies gilt beispielsweise auch für die Glashütte Süßmuth in Immenhausen bei Kassel, Anfang der siebziger Jahre eines der ersten Unternehmen dieser Art. Auch die AN in Bremen, ein bekannteres Beispiel aus der Zeit Anfang der achtziger Jahre, hat mit mittlerweile nur noch fünf Gesellschaftern ihre produktivgenossenschaftliche Ausprägung weitgehend verloren.

In den letzten Jahren kommt es wieder zu einem Schub bei der Gründung dieser Form von Produktivgenossenschaften. Spektakulärer Beginn war 1994 die Ausgliederung von etwa 1.200 Mitarbeitern der Firma DEC (Digital Equipment) mit dem Namen Ditec Informationstechnologie AG und einem Doppelsitz in Villingen-Schwenningen und München. Als Mitgift erhielt das aus der Not geborene Unternehmen 128 Millionen DM von ihrer Mutter, eine Summe, die für den Personalabbau vorgesehen war. Ein Gutteil des auf den ersten Blick hoch erscheinenden Betrages wurde über Verluste im ersten Jahr in Höhe von 47 Millionen DM bei einem Umsatz von 150 Millionen DM verbraucht. Konsequenz war ein Straffen der Personalsituation auf 700 Beschäftigte. 1996/97 wurden mit zwölf Millionen DM erstmals Gewinne erzielt.

c) Unternehmermodelle: Arbeitnehmerbeteiligung aus Verantwortung

Der dritte Untertyp der konsequenten Beteiligungsunternehmen sind die Unternehmermodelle. Bei diesen wird vom ursprünglichen Alleineigentümer aufgrund seiner Werte - oft mit dem Hintergrund der evangelischen oder katholischen Soziallehre oder der Anthroposophie - ein sehr weitgehendes Beteiligungsmodell praktiziert, so daß ein überwiegender Teile der Eigentumstitel bei den Beschäftigten liegt. Arbeitnehmerstiftungen oder überparitätische Beteiligungsmodelle werden hier zugerechnet, wenn sie so weit gehen, daß die Entscheidungsbeteiligung der Betriebsmitglieder produktivgenossenschaftliche Ausprägung bekommt. Auch ihre Anzahl liegt in der Bundesrepublik bei rund 30 Unternehmen.

Opel Hoppmann in Siegen oder die Keramikmanufaktur Kupfermühle in der Nähe von Itzehoe sind bekanntere Beispiele. Letztere praktizierte, die vor kurzem beendete Mitarbeiterbeteiligung sogar über die Rechtsform der Genossenschaft, verknüpft mit einer GmbH. Da solche Modelle an die Übertragungsbereitschaft der Alteigentümer gebunden sind, werden sie als Unternehmermodelle bezeichnet. Viele dieser Entwicklungen erfolgen im Unterschied zu den vorherigen Beispielen im Stillen. Das gilt unter anderem für die Firma Grünbeck-Wasseraufbereitung GmbH in Höchstädt, bei der die Mitarbeiter schon heute als GmbH-Gesellschafter 40% des Kapitals halten. Die restlichen 60% sollen im Erbfalle vom derzeitigen Inhaber übertragen werden. Insofern ist die Nachfolgeproblematik, die für viele Klein- und Mittelbetriebe gilt, bei Grünbeck durch einen produktivgenossenschaftlichen Zukunftsentwurf gelöst.

d) Belegschafts-Buy-Out als genossenschaftliches Finanzierungsmodell

Ein vierter Untertyp, der zu den konsequenten Beteiligungsunternehmen gehört, sind die Belegschafts-Buy-Outs. Sie haben vor allem in Ostdeutschland mit der Auflösung der ehemaligen Volkseigenen Betriebe (VEB) zugenommen. Auch in Westdeutschland gibt es in den letzten fünfzehn Jahren verstärkt dieses Phänomen des gemeinsamen Unternehmenskaufs durch die Beschäftigten. Die Motivation kann in einer Koalition der Unternehmensmitglieder - von Management und Belegschaft - gesehen werden, die durch gemeinsamen Aufkauf ihr Unternehmen erhalten wollen. In selteneren Fällen geht es auch um Unabhängigkeit von einer Konzernmutter, indem größere Flexibilität und Erfolg angestrebt wird.

Im Mittelpunkt dieser produktivgenossenschaftlichen Unternehmensform steht zumindest in der Gründungs- und Aufbauphase der Kaufakt, oft verbunden mit einem komplexen Finanzierungsmodell. Die Unternehmenskultur wird dadurch geprägt, daß viel über Geld, Finanzierung und damit zusammenhängenden Erfordernissen gesprochen wird. Die Anzahl der Betriebe ist nicht bekannt. Mit produktivgenossenschaftlicher Ausprägung wird sie sich ebenfalls in der Größenordnung von 20 oder 30 Unternehmen bewegen. Neuere Beispiele sind der ehemals volkseigene Werkzeugmaschinenbauer Schiess Wema GmbH in Aschersleben in Sachsen-Anhalt übernommen für 20 Millionen DM mit noch 130 Beschäftigten sowie die Büchergilde Gutenberg mit 120 Beschäftigten. Buy-Outs gibt es in der Bundesrepublik Deutschland erheblich mehr, auch wenn quantitative Dimensionen wie in Großbritannien oder den USA nicht erreicht werden.

III. Eigenständige Ausgestaltung selbstverwalteter Betriebe

Der dritte produktivgenossenschaftliche Haupttyp, sind die Selbstverwaltungsunternehmen. Auch bei diesen lassen sich vier Untertypen unterscheiden: die Kooperationsbetriebe, die unkonventionellen Beschäftigungsinitiativen, die Soziabilitätsgenossenschaften und die Professionsgenossenschaften. Die meisten dieser Unternehmen entstanden vor dem Hintergrund der neuen sozialen Bewegungen und dem Wertewandel Anfang der siebziger bis Mitte der achtziger Jahre. Insofern gehören Ökologie und Partizipation zu dem sie prägendem Selbstverständnis. Viele von ihnen betrieben in der Gründungs- und Aufbauphase eine Marktnischenpolitik, die auf die Öffnung neuer Märkte hinauslief. Für den ökologischen und sozialen Sektor kam ihnen jahrelang eine Pionierrolle mit allen damit zusammenhängenden Schwierigkeiten zu.

a) Kooperationsbetriebe: ein Demokratiemodell der Gründer

Der erste Untertyp bei den Selbstverwaltungsbetrieben kann in Anlehnung an Marlene Kück als Kooperationsbetrieb bezeichnet werden. Das politische Verständnis aus der Gründerzeit haben sie in abgeschwächter Form beibehalten. Zugunsten der Stabilität des Unternehmens, aufgrund von Mißtrauen oder aus anderen Motiven nimmt die Gruppe der Gründer und Gründerinnen aber keine weiteren Mitglieder in den formalrechtlichen Status des Kapitaleigners auf. Damit existiert eine Art Kernkollektiv, das den Betrieb kooperativ führt. Neue, Aushilfskräfte etc. werden jedoch nicht oder nur sehr zögerlich in den Kreis dieser Kerngruppe aufgenommen, so daß ein starkes Aufweichen des produktivgenossenschaftlichen Charakters kennzeichnend für diesen Unternehmenstyp ist.

Als Beispiel für diesen Typus steht die Zimmereigenossenschaft Grünspecht. Deren Entwicklung als eingetragene Genossenschaft kann mit dem Motto "Vom Kollektiv zur teamorientierten Leitung" überschrieben werden. Von ihrer Entstehung kommt sie aus dem Spektrum der selbstverwalteten Betriebe. Auch heute sind die wichtigsten Ziele des Unternehmens davon geprägt: Zusammenarbeit, ökologische Orientierung, solidarisches Handeln, gemeinsamer Erfolg. Als verbindlich sind diese Ziele in der Präambel der Satzung verankert. Das Unternehmen besteht seit 16 Jahren, davon 9 Jahre als Genossenschaft. In Vollzeit arbeiten derzeit regelmäßig 16 Beschäftigte im Unternehmen. Ursprünglich diente die Genossenvollversammlung als zentrales Entscheidungsgremium, an der alle Mitarbeiter in vierzehntägigem Rhythmus teilnahmen. Von dieser Struktur wurde Abstand genommen. Nur noch fünf Betriebsmitglieder, in den Funktionen von Vorstand und Aufsichtsrat, treffen sich regelmäßig. Alle wichtigen Entscheidungen werden von diesen fünf gefällt. Sie sind gleichzeitig als einzige der Belegschaft auch Mitglieder der Genossenschaft.

b) Arbeitsplätze durch unkonventionelle Beschäftigungsinitiativen

Der zweite Untertypus der Selbstverwaltungsbetriebe sind die unkonventionellen Beschäftigungsinitiativen. Als Personenzusammenschlüsse bauen sie sich ihre Arbeitsplätze selbst auf. Einzelnen Mitglieder gelingt es, durch neue Ideen und viel Engagement, für die Schaffung von Arbeitsplätzen öffentliche Fördermittel aufzutreiben. Um mit Hilfe dieser Gelder ein Unternehmen dauerhaft zu etablieren, dient Selbstverwaltung eher als Mittel. Häufig sind damit verbunden größerer Einsatz der Beschäftigten und die Bereitschaft, ein Einkommen unter dem marktüblichen in Kauf zu nehmen. Da die staatliche Finanzierung das Überleben dieser Betriebe längerfristig sichert, wird das Selbstverständnis und die Organisation dieser Unternehmen hiervon geprägt.

In vielen Fällen agieren diese Unternehmen in der Rechtsform des Vereins, aber auch der GmbH. Die Mitarbeitenden haben durch Vereinsmitgliedschaft, eine vetoberechtigte Mitarbeitervertretung oder über Anteile an der GmbH so starken Einfluß, daß teilweise selbst dann von produktivgenossenschaftliche Struktur gesprochen werden kann, wenn das Vermögen dem Verein, einem kirchlichen, kommunalen oder wie auch immer gearteten Träger der privaten oder staatlichen Wohlfahrtsorganisation gehört. Voraussetzung dafür ist aber immer, daß ein großer Teil der Beschäftigten dort gleichberechtigt an wichtigen Entscheidungen beteiligt ist.

Als Beispiel kann die Lehrerkooperative mit Sitz in Frankfurt a. M. fungieren. Das Gründungsmotiv für den im Jahr 1985 gegründeten Trägerverein war das Schaffen von Arbeitsplätzen für Menschen mit einer Ausbildung im pädagogischen und sozialen Bereich. Zu diesem Zwecke wurde ein bedarfsorientiertes Dienstleistungsangebot mit sozialer Ausrichtung im Bildungsbereich aufgebaut. Entsprechend tritt die Gruppe nach außen als Bildungsträger mit sozialem Anspruch auf. Als Erfolg kann das Unternehmen verbuchen, daß es gelungen ist, innerhalb von 13 Jahren etwa 120 Arbeitsplätze für Festangestellte und rund 300 für Honorarkräfte zu schaffen. Mitte 1998 weist der Verein damit 420 freie und feste Angestellte auf und erzielt einen jährlichen Umsatz von rund 12 Millionen DM. Die zentralen Unternehmensentscheidungen liegen bei den 100 Vereinsmitglieder von denen zwei Drittel auch im Unternehmen mitarbeiten.

c) Vertrauen in die Kraft der Gemeinschaft: Soziabilitätsgenossenschaften

Dritter Untertyp sind die Soziabilitätsgenossenschaften. Gleichberechtigtes Zusammenarbeiten gehört hier zum Selbstverständnis und ist in den meisten Fällen das zentrale Gründungsmotiv. Freundschaft, Vertrauen und Kenntnis voneinander, teilweise auch das Zusammenleben steht in diesen produktivgenossenschaftlich strukturierten Betrieben im Vordergrund und nicht der wirtschaftliche Erfolg der Organisation. Überschaubarkeit und Transparenz nehmen einen besonderen Stellenwert ein. Oft werden die Mitglieder durch einen verbindenden Glauben, eine gemeinsame Einstellung oder klar benannte Werte geprägt.

Ein bekanntes Beispiel, der Finkhof in Arnach, agiert sogar in der Rechtsform der eingetragenen Genossenschaft. Er umfaßt etwa zwanzig Erwachsene sowie viele Kinder. Gemeinsame Kasse, plenare Entscheidungen, Bekanntheit und Vertrauen gegenüber Einstiegswilligen kennzeichnen diesen Betrieb, so daß allein darüber für sein Wachstum und seine Größe Grenzen bestehen. Zahlen über diesen Genossenschaftstyp lassen sich schwer finden. Allein die Kommunen und Gemeinschaftsbetriebe aus dem Selbstverwaltungssektor, die eindeutig zu den Soziabilitätsgenossenschaften zählen, schwanken in der alten Bundesrepublik nach den Eigenerhebungen der Kommunen um die Zahl 100. Vielfältige Überschneidungen mit den Kibbuzideen sind auffällig, auch wenn kaum ein Unternehmen die Größenordnung der Kommune Kaufungen überschreitet, die mit etwa 60 Mitgliedern in der Nähe von Kassel angesiedelt ist.

d) Professionalität technologisch orientierter Selbstverwaltungsbetriebe

Als vierter Typ sind bei den Selbstverwaltungsbetrieben die Professionsgenossenschaften zu nennen. Im Gegensatz zu den Soziabilitätsgenossenschaften steht der Arbeitsinhalt und seine professionelle zielgerichtete Verwertung auf dem Markt im Vordergrund. Kennzeichnend ist eine technisch-rationale Orientierung. Entsprechend können hohe Qualifikation und häufig eine naturwissenschaftlich-technische Ausbildung der Mitarbeiter als Kennzeichen für diese Unternehmen genannt werden. Viele arbeiten im Sektor der regenerativen Energieerzeugung. Sie wollen im Unterschied zu den Soziabilitätsgenossenschaft im Wettbewerb erfolgreich sein. Kommunikationsprobleme werden durch Aufgliederung in kleine Einheiten, klare vertragliche Gestaltungen und oft sehr durchdachte, ausgeklügelte Regelungssysteme reduziert. Die Solarfirmen Solvis in Braunschweig und Wagner & Co in Marburg sind bekanntere Beispiele für diesen Betriebstyp.

Wagner Solar gehört zu den größeren Selbstverwaltungsbetrieben der Bundesrepublik. Von den Mitarbeiter sind knapp die Hälfte Miteigentümer durch Zeichnung von GmbH-Anteilen und auch Teilhaber der Immobilien KG. Unterschiede zu anderen Betrieben ergeben sich allein schon aus der inneren Struktur durch die diversen Sitzungen und Zusammenkünfte. Am Plenum können alle Mitarbeiter teilnehmen, während die Gesellschaftersitzung auf diejenigen begrenzt bleibt, die Anteile im Unternehmen gezeichnet haben. Die Entwicklung alternativer Energien, Selbstverwaltung, angenehmes Arbeiten bei marktwirtschaftlichem Background sowie ein dynamischer Unternehmensaufbau sind die wichtigsten Unternehmensziele. Das Unternehmen wurde im Jahre 1979 gegründet. Von Beginn an wurde bei den thermischen Solaranlagen auf eine einfache Technik gesetzt, so daß die Entwicklung eines Selbstbausystems naheliegend war. Insgesamt werden mittlerweile 100 Personen beschäftigt.

IV. Zusammenhänge zwischen Marktsituation und innerbetrieblichem Wandel

Die verschiedenen Typen der Produktivgenossenschaft, dies macht das kurze Skizzieren deutlich, sind immer mit jeweils sehr eigenständigen Ausprägungen der genossenschaftlichen Unternehmenskultur verbunden. Gleichzeitig ergeben sich auch sehr unterschiedliche Marktsituationen der einzelnen produktivgenossenschaftlichen Typen, so daß relativ differenzierte Aussagen über deren Stabilität möglich sind. Damit ist eine Relativierung des oft ohne Einschränkung wiederholten Oppenheimerschen Transformationsgesetzes angesprochen. Dieses "Gesetz" kann als Entwicklungsprognose für Produktivgenossenschaften im Zeitablauf angesehen werden. Es besagt, auf Dauer wird eine Unternehmung produktivgenossenschaftlicher Art ihren Charakter verlieren oder vom Markt verschwinden.

a) Oppenheimers Phasen der Transformation

Oppenheimer erstellt als Beleg für sein "Gesetz" ein Phasenschema. Am Anfang in der "Jugendform" besteht noch das Ideal einer Produktivgenossenschaft - meist nur im Kopf oder laut Satzung. Bei den realen Umsetzungsschritten kommt es schon zu den ersten Abweichungen. Beispielsweise wird Fremdkapital zugelassen, weil die Gründer über zu wenig Eigenkapital verfügen. In dieser zweiten Phase "Kampf ums Dasein" sieht Oppenheimer die Gefahr als besonders hoch an, daß neben den Finanzierungsschwierigkeiten Absatz- und Disziplinprobleme zu einem Scheitern führen.

Produktivgenossenschaften, die diese Probleme in der Anfangszeit überstehen, sind nur noch einer verringerten Gefahr des Scheiterns ausgesetzt. Sie erreichen die dritte Phase "Überleben des Passenden", indem sie sich in Marktnischen etablieren. Während sich die Gefahr des Scheiterns verringert, wächst in der Phase "Altersform" die Transformationstendenz: Immer weniger Mitglieder der Genossenschaft sind gleichzeitig Eigentümer und Beschäftigte bzw. die Zahl der Kapitalgeber (Aktionäre) und der Arbeitnehmer (Nur-Lohnempfänger) nimmt ständig zu.

b) Zwischen Entscheidungsdruck und Handlungsspielraum

Zur Relativierung des Oppenheimerschen Gesetzes können bei produktivgenossenschaftlichen Unternehmungen zur Charakterisierung der sozialen Stabilität zwei andere Kategorien herangezogen werden: Entscheidungsdruck und Handlungsspielraum. Auf diese Weise wird vermieden, die Gefahr des Scheiterns oder der Anpassung pauschal auf die innerbetrieblichen Strukturen zurückzuführen, indem sich der Zusammenhang mit den jeweils divergierenden Außenbedingungen erkennen läßt. Durch den Entscheidungsdruck werden die Tendenzen zum Wandel mitbeeinflußt, durch den Handlungsspielraum die Gefahren des Scheiterns.

Ist also der Handlungsspielraum gering und der Entscheidungsdruck ebenfalls niedrig, wie beispielsweise bei der traditionellen Produktivgenossenschaft, kann von einem retadierenden Wandel in Form des Oppenheimerschen Transformationsgesetzes ausgegangen werden: Immer weniger Personen sind Mitglied in der Genossenschaft, nehmen an den demokratischen Entscheidungen teil und profitieren vom genossenschaftlichen Förderauftrag. Schließlich gibt es nur noch eine Kerngruppe, die die genossenschaftliche Hülle aufrechterhält, obwohl der Sozialcharakter weitgehend verloren gegangen ist.

Ist dagegen der Handlungsspielraum groß und der Entscheidungsdruck niedrig, wie dies für viele Soziabilitätsgenossenschaften aufgrund ihres Agierens in Marktnischen gilt, kann von experimenteller Stabilität gesprochen werden. Wirtschaftlich sind keine außergewöhnlichen Entwicklungen zu erwarten, weil aufgrund der Außenbedingungen nichts in diese Richtung drängt. Auch wenn keine großen finanziellen Spielräume vorhanden sind, können die meisten Soziabilitätsgenossenschaften damit existieren. Erklären läßt sich dies mit den selbst geschaffenen Strukturen, umgesetzt in Form geringer Einkommenszahlungen und niedriger Kostenstrukturen. Ihre Entscheidungsspielräume nutzen sie für das soziale Experiment des Zusammenlebens und der solidarischeren Umgangsweise untereinander.

Dagegen kann bei Mitarbeiterunternehmen wie dem Softwareunternehmen PSI AG in Berlin von großen Handlungsspielräumen bei gleichzeitig auch hohem Entscheidungsdruck ausgegangen werden. Der Handlungsspielraum resultiert aus dem Agieren in innovativen neuen Märkten, vor allem im EDV-Sektor. Die dort vorhandenen vielfältigen Handlungsspielräume müssen aber auch aufgrund des hohen Innovationszwangs genutzt werden. Andernfalls besteht die Gefahr, vom Markt verdrängt zu werden. Auf diese Weise entsteht der Druck, zumindest in einzelnen Teilsektoren möglichst einen Schritt voraus zu sein. Beides zusammen erzeugt die Situation des innovativen Wandels.

Auch alle anderen kurz dargestellten produktivgenossenschaftlichen Typen lassen sich mit den beiden Kategorien Entscheidungsdruck und Handlungsspielraum unterschiedlichen Veränderungssituationen zuordnen. Ein solches zweidimensionales Schema weist zwar Schwächen und eine unzulässige Stringenz auf. Gleichzeitig wird damit aber der Blickwinkel von dem klassischen Oppenheimerschen Transformationsverdacht geöffnet in Richtung einer differenzierteren Betrachtung: Wann besteht die Gefahr des Scheiterns? Wie stark sind externe Einflüsse für die internen Strukturen? Welche Veränderungen in Richtung Innovation, aber auch in Richtung Anpassung sind bei den verschiedenen produktivgenossenschaftlichen Unternehmenskulturen zu erwarten?

c) Unterschiedlichkeit durch veränderte Wettbewerbssituationen

Verstärken läßt sich diese Vorgehensweise, indem versucht wird, jedem Genossenschaftstyp einer Wettbewerbssituation zuzuordnen. Zu unterscheiden sind vor allem Entwicklungs-, Anpassungs- und Verdrängungswettbewerb. Durch jede dieser Situationen werden andere ökonomischen Bedingungskonstellationen mitbestimmt, die Umsatz und Lohnhöhe beeinflussen, aber auch die Möglichkeit, mit produktivgenossenschaftlichen Strukturen zu experimentieren. Das heißt, die Transaktionskosten, die durch die unterschiedlichen Ausprägungen der Entscheidungsbeteiligung in ihrer Höhe beeinflußt werden, können nur getragen werden, wenn dies die jeweilige Wettbewerbssituation und die dadurch geprägte Ertragssituation zuläßt. Erst wenn gewisse Freiräume existieren, lassen die wirtschaftlichen Bedingungen überhaupt unterschiedliche Ausprägungen bei den produktivgenossenschaftlichen Strukturen zu.

Beispielsweise sind bei den Arbeitnehmergesellschaften die Handlungsbedingungen infolge des Verdrängungswettbewerbs sehr eng. Deshalb bestehen kaum Möglichkeiten, Entscheidungskosten zu tragen und damit überhaupt zuzulassen. Sobald Entscheidungen mit ausgeprägter Hierarchie kostengünstiger sind, entstehen bei geringen Spielräumen stärkere Zwänge, nicht demokratische Leitungs- und Entscheidungsstrukturen zu akzeptieren. Koordination durch Selbstabstimmung ist dann kaum zu erwarten. Anders verhält es sich bei den Soziabilitätsgenossenschaften. Dort werden zwar ebenfalls keine Gewinne erzielt, aber die Handlungsspielräume sind vergleichsweise größer, bedingt durch den nur schwach ausgeprägten Anpassungswettbewerb, von dem sie überwiegend geprägt werden.

V. Abweichungen vom Ideal als Selbstverständlichkeit

Für jeden der elf hier kurz skizzierten Typen lassen sich Aussagen über die Abweichungen vom Ideal der Produktivgenossenschaft anhand typischer genossenschaftlichen Merkmale wie Förder-, Identitäts-, Demokratie oder Solidaritätsprinzip machen. Begrenzt werden soll dies an dieser Stelle jedoch auf das Identitätsprinzip, weil es das empirisch am leichtesten zu überprüfende genossenschaftliche Prinzip und somit das eindeutigste Erkennungsmerkmal darstellt. Bei der Produktivgenossenschaft besagt es, daß zwei Rollen - die des Kapitaleigners und die des Beschäftigten - in der Personengruppe der Genossenschaftsmitglieder zusammenfallen. In manchen Fällen erfolgt daraus noch die Übernahme einer dritten Rolle bzw. Funktion, die gleichberechtigte Leitung des Unternehmens. Sie wird allerdings meistens delegiert.

a) Realwirtschaftliche Betrachtung produktivgenossenschaftlicher Betriebe

In jeder Genossenschaft gibt es verschiedene Personengruppen, die einer vollständigen Realisierung des Identitätsprinzips entgegenstehen. Dazu gehören auf der Seite der Beschäftigten vor allem Aushilfskräfte, neue Mitarbeiter, nicht Einstiegswillige und nicht Aufgenommene. Bei den Kapitaleignern sind es oft außenstehende Geldgeber, die ausschließlich aus Solidaritätsgründen Geld zur Verfügung stellen. Es können aber auch Pensionäre oder aus anderen Gründen aus dem Beschäftigungsverhältnis ausgeschiedene Genossenschaftsmitglieder sein, die dennoch ihre Anteile im Unternehmen belassen.

Beides führt zu einem Durchbrechen des Identitätsprinzip, muß aber wie bei der finanziellen Solidarität oder beim Einstieg von Neuen nicht mit einer Auflösung des produktivgenossenschaftlichen Charakters zusammenhängen. Insofern sind solche Abweichungen vom Ideal immer genauer zu betrachten, bevor vorschnell von einer Transformation gesprochen wird. Produktivgenossenschaft werden oftmals mit einer sehr hoch gehängten Meßlatte des Idealtyps gemessen. Wie bei jeder anderen Unternehmensform sind aber die realwirtschaftlichen Ausprägungen mit ihren vielfältigen Differenzierungen einzubeziehen, ohne ständig den mit einem abwertenden Beiklang versehenen Transformationsverdacht in den Vordergrund zu stellen.

b) Unterschiedliche Hintergründe für Abweichungen

Beispielsweise kommen bei den unkonventionellen Beschäftigungsinitiativen relativ hohe Abweichungen vom Identitätsprinzip vor. Die Argumente Oppenheimers spielen dabei aber nur bei sehr großzügiger Auslegung noch eine Rolle. Hintergrund ist vielmehr, daß ein großer Teil der Arbeitsplätze durch ABM, AFG oder sonstige staatliche Fördermaßnahmen finanziert werden. Entsprechend bleibt nur eine Kerngruppe dauerhaft mit dem Unternehmen verbunden, während ein großer Teil der dort Beschäftigten, sobald die Finanzierungshilfen auslaufen, aus dem Unternehmen ausscheidet. Das bedeutet auch, daß nach der Gründungsphase überwiegend diese Kerngruppe in die formalrechtliche Entscheidungsstruktur eingebunden ist.

Beim Unternehmermodell spielt die starken Ausrichtung des Beteiligungsmodells auf den Initiator und seine Integrität eine große Rolle. Indem er das Modell einführt, stößt er auf hohe Akzeptanz, so daß seine Vorstellungen, Ideen und Überlegungen fast immer realisiert werden. Er nimmt im Betrieb die Position eines "Übervaters" ein, der wenig Widerspruch erfährt. Trotzdem sind die Abweichungen vom Identitätsprinzip vergleichsweise gering. Die materielle Beteiligung der Beschäftigten wird in Unternehmermodellen oft begleitet von ausgeprägten Motivationsbemühungen, einschließlich materieller Anreize dafür. Insofern schadet sich jeder selbst, der sich dort nicht auf eine Kapitalbeteiligung und damit die Umsetzung des Identitätsprinzips einläßt.

c) Gegenüberstellung von Soziabilitäts- und Professionsgenossenschaft

Die Unterschiede und Vielfältigkeit genossenschaftlicher Unternehmenskulturen läßt sich besonders anschaulich durch die Gegenüberstellung von zwei Betriebstypen aus dem Selbstverwaltungssektor darstellen, den Soziabilitäts- und den Professionsgenossenschaften: Bei den Professionsgenossenschaften bleibt die Abweichung vom Ideal beim Identitätsprinzip gering. Den Ausschlag dafür gibt der ausgeprägte Wille vieler Mitglieder, sich an den Entscheidungen zu beteiligen, verbunden mit einer klaren vertraglichen Orientierung bei den demokratischen Strukturen. Diese vertragliche Orientierung steht im Vordergrund und kann neben der professionellen Ausrichtung bei den Arbeitsinhalten als zentrales Merkmal angesehen werden.

Hintergrund hierfür ist auch die hohe Qualifikation der Beschäftigten. Ihre vielen Spezialkenntnisse - beispielsweise über neue Energietechniken - bedeuten, daß zahlreiche berufliche Alternativen bestehen. Entsprechend sind sie vielfältigen "Versuchungen" durch attraktive Angebote von nicht genossenschaftlichen, am Markt konkurrierenden Unternehmen ausgesetzt. Das jeweils ausgeklügelte Vertragssystem, mit dem Versuch der gesellschaftsrechtlichen Einbindung kann insofern als Bleibanreiz und aufgrund des damit verbundenen Wettbewerbsverbot zugleich auch als Koalitionszwang gewertet werden.

Bei der Soziabilitätsgenossenschaft treten Abweichungen vom Identitätsprinzip, wird die formalrechtliche Einbindung als Kennzeichen genommen, vergleichsweise häufig auf. Formal kommt oft nur einem Mitglied die eigentumsrechtliche Verfügung und damit Leitung der "Hülle" beispielsweise einer GmbH zu, obwohl alle Mitglieder gemeinsam entscheiden. Nach dem internen Selbstverständnis in diesen Unternehmen sind vertraglich geregelte Strukturen auf ein Minimum beschränkt, möglichst werden sie sogar ganz vermieden. Bei vielen Kommunen gibt es keine Verträge, die ausdrücklich regeln, daß der einzelne jetzt Mitglied ist und deshalb auch entscheidungsberechtigt. Im Alltag bleibt er aber genauso konsequent eingebunden wie die Mitglieder in den Professionsgenossenschaften. Von daher erweist es sich als relativ schwierig, angemessen zu beurteilen, ob, bezogen auf das Identitätsprinzip, Abweichungen konstatiert werden müssen.

VI. Abschließende Schlußfolgerung

Keine der aus der Wirklichkeit herausgearbeiteten Formen entspricht dem Idealtyp einer Produktivgenossenschaft. Das bedeutet, ein ausschließlich aus der Theorie heraus entwickelter, zu eng gefaßter idealtypischer Bewertungsmaßstab erweist sich für die empirische Betrachtung realer Produktivgenossenschaften als ungeeignet: Das Phänomen Produktivgenossenschaft kann und wird auf diese Weise allzuschnell durch Idealisierung "wegdefiniert". Dies gilt in besonderem Maße für die häufig erfolgende Eingrenzung auf die genossenschaftliche Rechtsform. Bei diesen meist "traditionellen Produktivgenossenschaften" sind viele Merkmale sogar der Idealform weniger angenähert, als das bei produktivgenossenschaftlichen Unternehmen in anderen Rechtskonstruktionen der Fall ist.

Im Unterschied zu vielen bisherigen Studien zum Thema Produktivgenossenschaft verdeutlichen die zuvor gemachten Ausführungen, in welch vielfältiger Weise diese Unternehmensform in der Bundesrepublik Deutschland vorkommt und daß jeder "Typ" eigenen Bedingungen und damit auch eigenen Entwicklungsmöglichkeiten unterliegt. Verstärkt wird diese Einschätzung durch die Zuordnung der verschiedenen Produktivgenossenschaften zu unterschiedlichen Wettbewerbsformen. Nicht die Sozialform ist, wie immer wieder behauptet, ausschlaggebend für die Anpassung und vor allem für das Scheitern von Produktivgenossenschaften. Insbesondere beim Verdrängungswettbewerb erweisen sich die Bedingungen aller auf dem betreffenden Markt agierenden Unternehmen unabhängig von der Sozialform als prekär. Der jeweilige Marktkonstellation kommt deshalb in vielen Fällen ein starker Einfluß zu. Aus ihr ergeben sich wichtige Anhaltspunkte über die Stabilität und Veränderungsdynamik und damit über die Zukunftschancen der verschiedenen produktivgenossenschaftlichen Typen.

Im Rahmen zukünftiger empirischer Forschungen kann die entwickelte Typologie weiter operationalisiert werden. Dies stellt eine wichtige Voraussetzung dar, um die Zuordnung der Typen zu unterschiedlichen Wettbewerbs- und Veränderungsbedingungen in ihrer Signifikanz zu überprüfen. Von Relevanz für eine Untersuchung wäre ebenfalls, ob sich im Zusammenhang mit einer Längsschnittbetrachtung bei den einzelnen Genossenschaften infolge veränderter Wettbewerbsbedingungen ein Typenwechsel ergibt bzw. wie sich externe Veränderungen intern auswirken. Das Ergebnis könnte in einer dynamischen (Entwicklungs-)Theorie des organisationalen Wandels am Beispiel der Produktivgenossenschaften münden.